Autor: Susanne Jungmann, Key Account Manager Sensirion, Liquid Flow Products
In der medizinischen Diagnostik hält der Trend zu patientennaher Labordiagnostik (Point-of-Care-Testing, POCT) unvermindert an. Das heißt, der diagnostische Test soll möglichst zeitnah und am besten direkt beim Patienten durchgeführt werden können. Für komplexere Untersuchungen werden präzise mikrofluidische Systeme benötigt.
Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Point-of-Care-Test ist die Urinuntersuchung mittels eines Papierstreifens. Bei einem solchen Test führen die unterschiedlichen Bestandteile des Urins – wie beispielsweise weisse und rote Blutkörperchen, Glukose oder der pH-Wert – zu einer Farbänderung der reaktiven Flächen des Teststreifens. Durch das Vergleichen der Farbmuster mit einer Referenzskala kann so die Pflegefachperson qualitative Information über die Konzentration der verschiedenen Substanzen im Urin ableiten. Noch einfacher kann heutzutage die Sauerstoffsättigung des Bluts nicht-invasiv durch die Haut hindurch bestimmt werden, indem ein optischer Sensor an die Fingerspitze des Patienten geklippt wird. Früher, vor Aufkommen dieser sogenannten Puls-Oximeter, musste eine Blutprobe entnommen und zur Untersuchung ins Zentrallabor geschickt werden.
Komplexere Untersuchungen, wie beispielsweise der Nachweis von spezifischen Viren oder Bakterien, sind auch heute noch auf die aufwändige Infrastruktur und das speziell ausgebildete Personal eines Zentrallabors angewiesen. Solche Untersuchungen benötigen oftmals zusätzliche Schritte in der Probenvorbereitung oder Vorbehandlung, spezielle Temperaturbedingungen oder komplizierte Geräte für die Analyse. Um auch diese Untersuchungen direkt beim Patienten am Krankenhausbett durchführen zu können, muss das Testprozedere vereinfacht und die Interaktion mit dem Benutzer minimiert werden. Im Idealfall läuft der gesamte Test selbständig auf einem einzelnen mikrofluidischen System ab, das heisst, das ganze „Labor“ wird auf einem Chip integriert und so zum Lab-on-a-Chip.
Mikrofluidische POC-Tests
In der Mikrofluidik, insbesondere in den Biowissenschaften, wurde in den letzten Jahrzehnten sehr aktiv geforscht mit dem Ziel, heutige Laborexperimente, diagnostische Tests oder (bio-)chemische Prozesse zu miniaturisieren und zu automatisieren. Statt diskrete Flüssigkeitsmengen von einem Behälter in den nächsten zu pipettieren, fliesst heute die Flüssigkeit im mikrofluidischen System durch die winzigen Kanäle eines Trägers. Die Flüssigkeit in diesen Kanälen wird üblicherweise durch externe Pumpen oder Druckquellen bewegt, an die der fluidische Chip angeschlossen ist. Um den angelegten Druck zu regeln oder den durch die Pumpe generierten Fluss zu stabilisieren, wird die Flussrate mit Durchflusssensoren gemessen. Dank ihrer ausgezeichneten Sensitivität bei tiefsten Flussraten setzen die mikrothermischen Massenflussmesser für Flüssigkeiten von Sensirion heute den Industriestandard für die genaue Überwachung des Flüssigkeitsflusses in mikrofluidischen Systemen.
Die Abmessungen der Kanäle im fluidischen System sind mittlerweile stark reduziert auf eine Mikrometerskala und die Flüssigkeitsvolumina befinden sich im Mikroliter oder sogar Nanoliterbereich. Dies erlaubt der Mikrofluidik die Proben- und Reagenzienmengen drastisch zu reduzieren, Reaktionen schneller ablaufen zu lassen und damit den Durchsatz zu erhöhen. Nicht zuletzt bedeutet eine kleinere Grösse des Fluidik-Systems auch tiefere Kosten und kleinere Geräte. Beides sind notwendige Bedingungen, damit Untersuchungen dezentral direkt am Behandlungsort, das heisst, an der Bettkante, auf der Krankenhaus-Etage oder in der Arztpraxis durchgeführt werden können. Dies wiederum vereinfacht die Logistik und stellt die Resultate schneller bereit für eine bessere und zielgerichtetere Behandlung der Patienten.
Mögliche Anwendungen in der Medizintechnik und anderen Bereichen
Kommerziell erhältliche mikrofluidische POCT Geräte messen beispielsweise Proteine, die als Biomarker zur Diagnose von Herzinfarkt dienen. Andere Geräte analysieren Blutproben zur Bestimmung ihrer Zusammensetzung aus roten und weissen Blutzellen, sowie deren Subtypen. Eine weitere Anwendung in der Medizintechnik sind Zytometer zur Bestimmung der Konzentration von T-Helferzellen zur Überwachung des Immunsystems von HIV/AIDS-Patienten. Schliesslich gibt es auch Bestrebungen, molekularbiologische Methoden zum Nachweis von beispielsweise antibiotika-resistenten Bakterien über ihre DNA auf Point-of-Care Systeme zu übertragen. Selbst genetische Fingerabdrücke können mit POCT Geräten zu forensischen Zwecken erstellt werden.
Mikrofluidik spielt aber nicht nur im klinischen Umfeld eine immer wichtigere Rolle. Auch in der Forschung und Entwicklung sowie in der industriellen Prozessüberwachung gewinnt Mikrofluidik an Bedeutung. Insbesondere in der Nahrungsmittel- und Getränkeproduktion ist die Mikrobiologie heute entscheidend. So wird die Qualität von Hefezellen, die Malz zu Bier vergären, ebenso überwacht, wie die Bakterienpopulation in Milch, die bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten darf. Während bisher diskrete Proben aus dem Produktionsprozess abgezweigt und in externe Laboratorien zur Untersuchung geschickt werden, erlauben neuartige miniaturisierte Fluss-Zytometer eine direkte Verifikation einzelner Produktionslose oder sogar eine kontinuierliche Überwachung in der Produktionslinie.
Verbesserte Leistung durch präzise Flussüberwachung
Das Feld der Mikrofluidik ist über seine Entstehung stark mit den Biowissenschaften und den dazugehörigen Technologien wie Zellsortierung, Zellmanipulation oder DNA-Analyse verbunden. Aber auch in allen anderen miniaturisierten Systemen, die Flüssigkeiten verwenden, ist die Mikrofluidik relevant - sei es in mikroskopischen chemischen Reaktoren oder Mikro-Brennstoffzellen für die tragbare Stromerzeugung.